Dresdner Stollen mit Maske

Ein unerwartet sinnenfroher Nachmittag

 

Einer der wirklich großen Nachteile von Alltagsmasken ist der Genuss von Fishermansfriends.

Kann man kaum noch machen heutzutage.

Einmal im Mund und dann die Maske auf, das geht soo in die Augen, aber wie. Der Atem treibt die Aerosole der Fischerfreunde durch Mund und Nase in die Maske und dann hoch. Tränen sind die Folge.

Praktisch kann man sie nur noch draußen und ohne Maske lutschen.

Das wird man wohl noch sagen dürfen.

Nachtrag: Mit meiner neuen FFP2-Maske ist das Genießen ein Vergnügen.

Keine Träne wein ich

den Verlutschten hinterher und

inhaliere tief und froh die guten Aerosole.

 

 Haben wir doch mit einer befreundeten Nachbarin zusammengesessen, maskiert, mit Abstand und mit offener Türe.

Mal einen alkoholfreien Whiskey verkosten. Ein eher laffes Zeug im ersten Antrinken.

Aber im Abgang gehen Welten auf. Da wird es mittelzungig fruchtig, da herbt es, da werden Raucharomen wach.

So weit so nett.

Aber zusätzlich habe ich unterstützt durchs Maskentragen auch meine Ausatmungen verkostet.

So eine Art Wiederschmecken. Wahnsinn.

Noch einmal schmecken mit Bedacht,

das hätten wir so nie gedacht.

Jetzt erlebten wir die reiche Fülle der Geschmackszutaten dieser "Zunächstmalplörre". Das wäre unmaskiert wohl an mir vorbeigezogen. Ein gutes Zeug, dass zudem langsam genossen werden kann, weil der Geschmack sich lange aufhält.

Hier also die Empfehlung: Feinschmecken mit Maske (nicht durch die Maske, Idiot!) – ein sinnliches Erlebnis.

 

Dazu gab es Stollen.

Unsere Freundin erzählte, dass sie als kleines Mädchen in Dresden so um 48/49 mit der Mutter zum nächsten Bäcker gegangen wäre und dort beim Stollenbacken dabei gewesen sei.

 Wie bitte? Den Whiskey süffelnd hatte ich nicht richtig hingehört.

 Ja, sie hätten die Zutaten mitgehabt, der Bäcker habe alles zu Stollenlaiben verarbeitet und die dann in den Ofen geschoben.

 Wie jetzt?

 Es hat doch keine großen Öfen gegeben und wir haben immer 2 kg Stollen backen lassen. Dann sind wir mit dem Leiterwagen zurück.

 Moment, Leiterwagen?

 Ja, diese Wagen, die man hinter sich herzieht und deren Seiten aus einer Art Leitern…

 Ich weiß, was ein Leiterwagen ist, aber wieso einen Wagen für einen Stollen?

 Einer? Es waren, lass mich nachzählen,

unsere Freundin, zählte tatsächlich mit den Fingern, so deutlich stand ihr die Situation (70 Jahre später) noch vor Augen.

Sieben!

 Was? Ihr habt beim Bäcker um die Ecke –

 nein, wir mussten eine Viertelstunde laufen –

 also ihr habt beim Bäcker sieben Stollen backen lassen, jeder 2 kg schwer?

 Genau und die Zutaten, das waren Raritäten, die waren kostbar, die gabs bei uns lange nicht zu kaufen. Und wir mussten außerdem Milch, und vielleicht auch Margarine ?, Butter war ja auch selten, auf jeden Fall Milch noch, wisst ihr, in der Milchkanne, und die wurde dann an den Ofen gestellt, damit die Milch lau wurde und sich besser mit den anderen Zutaten verbindet. Und Rosinen, Zitronat, Orangeat und Mandeln haben wir zum Bäcker mitgebracht. Haben wir alles aus dem Westen geschickt bekommen.

 Von Freunden?

 Verwandte, Freunde, wer Verbindungen hatte, der hatte Glück und natürlich haben wir einen Teil der Stollen dann in den Westen geschickt. Echte Dresdner Stollen, ich habe die Butterkruste am Liebsten gegessen, mach ich heute noch.

 Butterkruste, welche Butterkruste?

 Stollen gibt es gewickelt oder gerissen.

 Wusste ich nicht.

 Schau mal, dieser ist zweimal gerissen,

die Freundin zeigt auf ihren Stollen, der vor uns auf dem Couchtisch steht,

da hat der Bäcker mit dem Messer zwei parallele Schnitte über die ganze Länge gezogen, das ist beim Backen dann aufgerissen, offen geblieben und nach dem Backen zu Hause wurde dann flüssige Butter (wenn man Butter hatte) über die Risse gegossen und dann der Puderzucker drübergestreut, das vermischte und das war lecker.

 Sie sieht gerade ziemlich jung aus, unsere Freundin.

 Und wieviele wart ihr in der Backstube? Viele Kinder? Spielen?

 Ich war das einzige Kind, ich musste noch nicht in die Schule. Ich erinnere mich an den riesigen gemauerten Ofen, innen war er rund…da mussten ja auch 30-40 Stollen reinpassen.

 Das war wohl wie ein Marktplatz, wo man sich kannte…

 Nein, die andern Frauen haben wir nicht gekannt, die kamen aus mehreren Vierteln und man hat mit dem Bäcker eine Zeit ausgemacht. Ein – oder zweimal die Woche war bei ihm Stollenbacktag in der Vorweihnachtszeit.

 Das stell ich mir richtig nett vor.

 Ich erinnere das auch, die Frauen haben sich unterhalten, der Bäcker hat mit den Frauen geplaudert, aber vor allem haben wir den Bäcker kontrolliert, ob der auch wirklich alle unsere Zutaten in unseren Stollen verarbeitet hat. War ja alles so wertvoll. Und die Männer hatten kleine Schilder angefertigt aus Holz mit unserem Namen drauf, die wurden vor dem Backen in die Laibe gesteckt und dann mitgebacken, damit auch klar war, wem die Stollen gehören. Und noch was Schönes, aus einem Teil des Stollenteiges hat der Bäcker uns dann ein Kartoffelbrot gebacken, einen Blechkuchen, den haben wir über die Stollen auf den Leiterwagen gepackt und zu Hause noch lau mit Margarine oder Butter, wenn noch welche da war, bestrichen und mit Zimt und Zucker bestreut gegessen.

 

Und so hat dieser im Abgang sehr schmackhafte alkoholfreie durch die Alltagsmaske zwiefach genossene Whiskey uns dabei unterstützt einer siebzig Jahre alten sinnlichen Erinnerung nachzuspüren.

 

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