Scheitern im ersten Anlauf (Harfe 1. Folge)

Er hatte mir über die letzten dreissig Jahre schon drei Harfen gebaut.
Eine schöner als die andere.
17 Jahre lang habe ich seine schönste Harfe gespielt. Ich bin ihrer nun müde geworden, immer mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu reisen, die Harfe ist mir zu groß geworden.
Die Hörer*innen lieben diese Schönheit, ich brauch sie nur anspielen und schon, „oh!“.

Mein schönes und wohlklingendes Instrument habe ich bis nach Sankt Petersburg gebracht,
es in Taschkent und Samarkand gespielt, in Wien und Düsseldorf, Dinslaken und Glinde.
In Istambul habe ich sie am Flughafen geschoben. In Duisburg sind wir miteinander umgestiegen. An der Grenze zu Österreich war sie zu groß für die Diebe, die meiner Frau und mir auf einer Erzählreise beide Koffer stahlen. Für ein Lastenrad für das Instrument haben wir in Berlin probegelegen.

Gefühlt immer ( aber nur 17 Jahre) bin ich mit der schönen Harfe und Handwagen, Rucksack, mit Lastenrad, in Bus, Bahn und Taxe gereist.
Seit einiger Zeit wird das Instrument mir zu schwer. Ich bemerkte es erst indirekt. Der kaputte Aufzug, die lädierte Rolltrreppe, der Umweg, weil etwas abgesperrt ist, der volle Zug, der verpasste Zug, die geänderte Wagenreihung, der doppelt reservierte Sitzplatz, der trotz Reservierung fehlende Sitzplatz, die mangelnden Abstellmöglichkeiten für so ein großes Teil im öffentlichen Nahverkehr. Es wird mir zuviel und ich realisiere das über Jahre nicht (weil das Instrument doch so schön ist).

    Oh, eine Mutter mit Kinderwagen, ich muss raus aus dem Bus!
    Oh, ein Fahrrad ist schon drinnen, dann kann ich ja nicht mehr rein.
Die Gesichter mancher Taxifahrer, wenn ich mit so einem Geschoss an den Stand komme.
Es regnet - Hilfe - wo ist der nächste Unterstand für diese Kostbarkeit.


Es wurde mir zu schwer und zu viel. Also zum Harfenbauer.
    Was kannst du mir anbieten?
    Gefällt mir alles nicht. Ich möchte was Leichtes.
Schweren Herzens lässt sich der Meister auf mich ein.
Wir arbeiten mehrere Termine lang an meinen Wünschen.
Ein Dummy wird gebaut, eine Anzahlung geleistet.
Dauert lange Monate.
Man drängt den Meister nicht.
Er entwirft für mich immerhin ein neues Instrument.
Psst. Stör ihn nicht. Ist eh ein Geschenk, dass er das für Dich macht.
Dann die Präsentation der Neuen! - Freude?
Eher nicht.
Skepsis.
Immer noch zu groß, immer noch zu schwer.
Gestalt gefällt mir nicht.
Fällt mir auch nicht leicht, es ihm zu sagen, er hat viele Stunden Arbeitszeit…
Ich weiß, dass er toll arbeitet.
Aber es gefällt mir nicht. Was für ein Elend!
Ich nehme das Probeinstrument mit nach Hause.
Das Gewicht, die Größe, die Farbe.
Es ist es nicht.
Dafür habe ich diesen Aufwand getrieben.
Und dann versteht der Mann mich nicht.
Nein, so geht es nicht.
Das Instrument zurückgebracht.
Nicht wenig verzweifelt.
Hier steht jetzt auch eine Beziehung auf dem Spiel.
Mich schnell aus der Werkstatt weggedrückt.
Weiß, ein neuer Anlauf, wenn überhaupt noch einer, nach diesem Desaster, dauert wieder Monate.

Aber meine Verzweiflung ist in den letzten Monaten sehr groß geworden.
Das aktuelle Instrument ist mir nicht mehr lieb. Ich schleppe mich dran ab, an meinem linken Handgelenk entsteht ein weicher Knubbel, der auch nicht mehr weggeht.
Die Hörer*innen lieben das Instrument - aber ich nicht mehr!
Ein Geist den ich rief und kann jetzt nicht mehr drauf verzichten.
Suche im Netz. Schaue nächtelang tausende Harfenbilder und zig Harfenwerkstätten an.
Alles nichts.
Zu groß, zu häßlich, zu schwer, nicht alltagsfähig für einen ambulanten Erzähler.
So geht das viele Monate.
Vom Harfenbauer nichts mehr gehört.
Dann eines Nachts, ein Videoblog, sogar auf Deutsch.
Eine Harfinistin stellt ihre Instrumente vor. Ein ganz kleines diesmal.
Mit Klangbeispiel
Wow, was für ein Sound für ein so kleines Teil!

Na, die können leicht pfuschen im Netz.
Die nächsten Tage suche ich diesen Blog immer wieder auf, schaue mir das Instrument an, die Harfenspielerin hält dieses Instrument für die beste Reiseharfe der Welt.
Das ist das Wort: Reiseharfe.
Ich setze nach: Schoßharfe, auch ein gutes Wort.
Tragbar, umhängbar, 3,5 kg.
Gibts in den USA.

Mist.

Aber auch ein Laden in Europa, in den Niederlanden. Der führt das Instrument und übernimmt auch den Service bei Reklamationen.

Wie sieht es beim Harfenbauer aus?
Mag gar nicht mehr nachfragen, Scheiß auf die Anzahlung. Fühl mich auch schuldig.
Aber meine Verzweiflung steigt.
Ich habe gar nicht gemerkt, wie sehr mich das Schleppen meines Instrumentes belastet.
Keine Frage- ich muss handeln.

Also Adresse des Ladens herausfinden, anrufen, Mist - muss englisch sprechen - Haben Sie das Instrument vorrätig?
Ja.
Kann ich nächste Woche vorbeikommen?
Ja.
Ticket kaufen, Geld holen. Hinreisen.
Ein kleiner Laden in einem Nest im Gelderland.
Noch nicht einmal ein Bäcker zu finden als ich am frühen Morgen dort ankomme.
Der Harfenladen im Dorf hat aber schon auf, bin angemeldet.
Ein Laden voller kleiner Harfen. Hätte ich damals schon ein Smartphone gehabt, dann gäbe es hier ein Foto. Aber Corona ist noch weit und Smartphones für mich noch nicht nötig.

Ein Laden voller kleiner Harfen und ich darf probieren. Es ist ein Fest.
Alles was ich meinem Harfenbauer gegenüber noch nicht formulieren konnte, hier ist es gebaut!
Ich trage, ich wiege, ich simuliere Gepäckablagen.
Irgendwann fragt die Verkäuferin:
„Möchten sie nicht auch einmal spielen?“
Erstmal tragen.
Ich vermute, dass ich das nachträglich erfunden habe. Aber es schildert mein mir erst ganz langsam klargewordenes Problem. Ich mag mein großes Instrument nicht mehr schleppen.

Und ich greife nach der kleinen Harfe für die ich diesen Tag und diese Reise unternommen habe. Süß.
Leicht und klein, ein bemerkenswerter Klang, glänzt und die Klappen funkeln golden.
Ich spiele eine Weile, die Saiten sind hart gespannt. Der Ton sehr klar. Gut, es ist ein bisschen wie ein kleiner Kasten mit Saiten und der Klang ein wenig hart.  Das Holz glänzt sehr, ist es etwa lackiert?
Dauert eine Weile, dieses Kennenlernen. Das Gewicht, diese Lautstärke, es ist hübsch und genau das, was ich jetzt brauche, was mich erlöst von meinem aktuellen Hauptproblem, der Erdenschwere meiner großen Harfe.
Das kleine Ding heißt Nightingale - Nachtigall - und ist gebaut für die Harfenspielerin, die im Krankenhaus von Zimmer zu Zimmer geht um die Patienten mit Musik zu erfreuen.
Ein feiner Gedanke und natürlich genau mein Thema. In der Kita, in der Kirche, in der Schule und im Restaurant stehend, das Instrument ganz nah am Körper tragen und spielen.
Was - ich kann es sogar umhängen? Das habe ich mir immer gewünscht - ohne es bis dahin zu wissen.

Ich will es kaufen, habe Bargeld dabei, aber die nehmen hier in Holland keine 500er mehr an.
Sechs habe ich mit, dachte, es geht alles klar.
Wegen der Geldwäsche, sagt man mir. Damit habe ich nun nicht gerechnet.
Ich gebe auf, sage, na dann, war nett Euch kennengelernt zu haben, packe meine Sachen ein…
Da fährt der Chef doch noch mit meinem Geld zur Bank um es mit Hilfe von Formularen zu legalisieren.

Jetzt hat im Dorf auch ein Eiscafe geöffnet. Ich warte eine Stunde und dann kann ich das Instrument mit nach Hause nehmen.


Fortsetzung folgt